Ich sitze zwischen den Stühlen.
Seit ich ungefähr 16 Jahre alt bin, hängt mein Herz an der Blockflöte. Die Möglichkeit, mit der wunderbaren Sprache der Musik mein eigenes Selbst zu suchen, zu verwirklichen und auszudrücken, war eine faszinierende Herausforderung. Viele Stunden am Tag experimentierte ich herum in dem Bestreben, das von mir sehr bewunderte Genie der jeweiligen Komponisten (damals vor allem Händel, Telemann und Bach) unter einen Hut zu bringen mit dem ebenso starken Wunsch nach Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung. Man nannte das Üben – für mich war es die reinste Freude!
Zusammen mit meiner Lehrerin, Frau Karola Teubert, fand ich das wichtigste für einen Musiker: meinen Ton. Ein Kombination aus nasalem Ansatz mit angespannter Wangenmuskulatur und Vibrato.
Ungefähr zur gleichen Zeit fand man – ausgehend von Holland – immer mehr musikwissenschaftliche Hinweise darauf, wie die Musik des Barock – die wichtigste Epoche, in der Blockflöte gespielt wurde – wohl authentisch geklungen haben könnte. Die für mich wichtigsten Erkenntnisse waren: Man spielte mit entspannter Wangenmuskulatur und ohne Vibrato.
Ich saß zwischen den Stühlen.
Es bereitete mir körperliches Unbehagen, so zu spielen und es machte mich unglücklich, zu hören wie immer mehr Musik veröffentlicht wurde, die für mich so „unangenehm“ klang. Sätze wie: „Eigentlich mag ich Blockflöte nicht, aber bei Ihnen klingt es wunderschön“ von Laien aus meinem Publikum oder: „Es ist eine Unverschämtheit, was Sie sich alles erlauben“ von Fachleuten aus meinem Publikum verwirrten mich zunehmend.
Ich saß zwischen den Stühlen und zumindest auf einem saßen ärgerliche Menschen.
Ich beschloss die Musik aufzugeben und studierte Biologie. Aber sehr bald fehlte sie mir dann doch, und vier Jahre später wollte ich wieder Musiker sein, zumal mir der Broterwerb eines jeden Musikers, der nicht ausschließlich von Auftritten lebt, nämlich das Unterrichten, sehr viel Freude bereitet und bei meinen Schülern auch gut ankommt.
Irgendwann hörte ich im Autoradio die Oboensonate op. 166 von C. Saint – Saëns. Ich war wie elektrisiert. (Ich musste an den Straßenrand fahren und zu Ende hören und kam zu spät zum Unterrichten). Ich besorgte mir eine Aufnahme und hörte sie Tag und Nacht voller Sehnsucht und nicht ohne Neid. Warum gibt es so tolle Musik nicht für Blockflöte? Dann dachte ich: probier es doch mal aus und entdeckte dass es eigentlich unmöglich ist. Dynamik (laut – leise spielen) ist auf der Blockflöte nur in geringstem Maße möglich ist, ohne dass sich die Tonhöhe ändert. Also versuchte ich es anders: Wenn man die Grifflöcher immer ein kleines bisschen mehr öffnet (gerade so einige Zehntel Millimeter) kann man immer leiser spielen, ohne dass der Ton tiefer wird, dafür bricht er aber irgendwann nach unten weg. Außerdem ist der Tonumfang der Blockflöte eher klein und sie ist nicht laut genug für einen modernen Flügel als Partner. Ungefähr zwei Jahre bekniete ich meinen Flötenbauer, mir eine Flöte zu bauen, die sehr laut ist, aber trotzdem nicht wegbricht, wenn man sehr leise spielt und auf der man ein paar Töne höher spielen kann als normal. Zuerst weigerte er sich, aber irgendwann schaffte er es dann doch. Jetzt hatte ich eine Flöte und konnte mich auf den Weg machen Musik zu spielen, die keine Barockmusik ist.
Was nun folgte war harte und begeisternde Arbeit. Meines Wissens ist noch niemand mit seiner Blockflöte so umgegangen, wie ich es vorhatte. Ich arrangierte die Saint-Saëns Sonate für Blockflöte und Klavier und brauchte ungefähr ein Jahr, bis ich anfing ihr gerecht zu werden. Andere Werke von Ravel, Donizetti und Schumann folgen.
Das war mein Weg heraus zwischen den Stühlen und hinauf auf einen dritten.
Kurz darauf entdeckte man, dass im 19. Jhd durchaus Blockflöte gespielt wurde. Es herrschte damals die weit verbreitete Mode, verschiedene Instrumente in einen Spazierstock zu integrieren, um sie immer zur Hand zu haben. Es gab tatsächlich Spazierstockgeigen, -klarinetten, -flöten und auch –blockflöten! Aus letzterer entwickelte sich ein Instrument namens Czakan. Eine Blockflöte! Er erlebte in der ersten Hälfte des 19. Jhd eine wahre Blütezeit, vor allem in der damaligen U-Musik. Die Kompositionen für diesen Czakan, die seit ca. zwanzig Jahren nach und nach entdeckt werden, stellen eine hervorragende Erweiterung meines bisherigen Schaffens dar.
Derzeit sind die verschiedenen Musiken der Romantik der Schwerpunkt meines Schaffens.